Stellungnahme zu den Aktivitäten des Neonaziaussteigers Daniel* in der Sauerkrautfabrik Harburg und dem anschließenden Hausverbot

Debattenbeitrag zum Betroffenenschutz im Umgang mit Aussteiger*innen in linksradikalen Räumen

Wir, als Sauerkrautfabrik (SKF), haben beschlossen die Auseinandersetzung im Umgang mit dem Neonaziausteiger Daniel*, in unseren Räumen, in kurzem Umfang öffentlich zu machen. Diese Beschreibung des Geschehenen soll Einblick in ein Verfahren geben, welches wir erlebten. Der Text soll keinen Rechtfertigungsversuch darstellen, sondern eher als Beitrag zum Umgang mit solchen Situationen dienen. Dabei ist ein anderer Ausgang als der, zu welchem wir gekommen sind, möglich und soll daher nicht als feststehende Vorgehensweise verstanden werden.

Daniel ist ein Aktivist, der für ca. 1,5 Jahre (Sept. 2017 – Dez. 2018) in der Sauerkrautfabrik aktiv war.

Er war Anfang der 2000er fünf Jahre als zentrale Figur in der Neonaziszene in Harburg und Hamburg aktiv und hat sich insbesondere als Anti-Antifa-Fotograf betätigt.

2008 ist Daniel aus der Szene ausgestiegen und hat mit seinen alten Strukturen glaubhaft und öffentlich gebrochen.

Mitte 2017 wurde Daniel, der sein Weltbild in den letzten zehn Jahren radikal geändert hat, in der SKF aktiv. Als Daniel kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg in der SKF aktiv werden wollte, wurde dies abgelehnt, mit dem Hinweis, dies könne nach dem G20 auf dem SKF-Plenum besprochen werden. Im Spätsommer 2017, kurz nach dem Gipfel, wurde er Mitglied einer Gruppe und nahm an deren Plena in der SKF teil. Entgegen der SKF-Plenumsentscheidung, war er dann zunehmend häufiger in der SKF anzutreffen.

Weil es wegen seiner Vergangenheit Bedenken gab, führte eine vertrauenswürdige und vom SKF-Plenum beauftragte Gruppe einen Hintergrundcheck mit Daniel durch. Die Gruppe fand keine Anhaltspunkte, die aus ihrer Sicht gegen das Aktivwerden von Daniel in der SKF gesprochen hätten.

Das Plenum beschloss, dass Daniel in der SKF aktiv werden könne, mit der Bedingung, dass er sie nicht repräsentieren und insbesondere zu Beginn keine Tür- und Awarenessaufgaben übernehmen solle.

Nach einigen Monaten wurde sich nicht mehr an diesen Beschluss gehalten. So kam es dazu, dass Daniel doch Türschichten übernahm, da dringend Menschen für die Schichten gesucht wurden und niemand dem widersprach. Des Weiteren beteiligte er sich (in Absprache) an der Organisation eigener Veranstaltungen in der SKF, initiierte eine Sportgruppe und erhielt offiziell einen Schlüssel für den Raum. Wir sehen das Nichteinhalten der Absprachen als ein Versäumnis beider Seiten und sehen unser Verhalten hier im Nachhinein sehr kritisch. Der Prozess hätte von unserer Seite aus besser begleitet werden müssen.

Aus unserer jetzigen Sicht, ist der wichtigste Aspekt in der Thematik die Perspektive der Betroffenen. Diese wurde auf dem Plenum nicht ausreichend diskutiert – kurz gesagt, wir hatten uns in die Komfortzone zurückgezogen, uns mit Daniel in der SKF arrangiert und die Betroffenenperspektive außer Acht gelassen.

Das hatte zur Folge, dass einige Personen im Umfeld der SKF, die früher Ziel seiner Aktionen gegen politisch Andersdenkende wurden, nicht mehr in die SKF kamen, weil Daniel dort aktiv war. Diese Bedenken wurden zwar mehrmals in das Plenum gebracht, aber fanden nur wenig Gehör.

Daniel signalisierte Gesprächsbereitschaft über seine Vergangenheit und es fanden Gespräche statt, darunter auch mit einigen Betroffenen. Jedoch war es nicht möglich, alle Begebenheiten zu klären. An zu viele Punkte konnte er sich nach eigenen Aussagen nicht mehr erinnern und es blieben Fragen offen.

Für andere Betroffene kam die direkte Konfrontation mit ihm nicht in Frage.

Abgesehen davon, dass ein umfassendes Ausmachen aller Betroffenen schlicht nicht möglich ist, sollten die Betroffenen ihr Handeln selbst bestimmen können und nicht zu Aussagen gedrängt werden. Das Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter, darf nicht Maßstab linksradikaler Politik sein. Hierin liegt aus unserer Sicht das größte Versäumnis des Plenums. In solchen Fällen darf nicht darauf gewartet werden, bis Betroffene sich äußern.

Bei intensiver Beschäftigung mit der Betroffenenperspektive wurde uns klar, dass Betroffene nicht zu Aussagen gedrängt werden dürfen, da die Entscheidung, sich wieder mit dem belastenden Thema beschäftigen zu müssen, allein bei ihnen liegt.

Mit Zunahme an verantwortungsvollen Aufgaben, die durch Daniel übernommen wurden, wurden die Bauchschmerzen bei mehreren Aktiven stärker, sodass Ende 2018 die Aktivitäten von Daniel in der SKF wieder kritisch auf dem Plenum hinterfragt wurden.

Zu diesem Zeitpunkt kam u.a. heraus, dass entgegen der Aussage, alle Fotos seien im Rahmen seines Ausstieges vernichtet, diese noch im September 2015 auf einer unverschlüsselten Festplatte von Daniel existierten. Er selbst gab an, dass er die Daten auf der Festplatte vergessen habe, da sie einige Jahre ungenutzt in einem Schrank lag. Die Bilder seien gelöscht worden, als ihm auffiel, dass sie noch auf der Festplatte gespeichert waren. Der sorglose Umgang mit diesen sensiblen persönlichen Daten belastete das Vertrauen zusätzlich. Da er mehrfach auf die Fotos angesprochen wurde und er von selbst nie offen über die aufgetauchte Festplatte redete, wurde seine Glaubwürdigkeit von Personen aus dem Plenum in Frage gestellt.

Der Entscheidungsprozess, bis hin zum Hausverbot, war für alle Beteiligte außerordentlich belastend und in Teilen auch schmerzhaft. Daniel hat im Umfeld der SKF viele Freund*innen und Unterstützer*innen, die ihm auch weiterhin vertrauen. Er ist unverändert in der Gruppe aus dem SKF-Umfeld aktiv.

Die Debatte haben wir uns keinesfalls leicht gemacht und sehr ernst genommen. Der Weg zu einem Konsens war sehr schwierig. Nach mehrwöchigen intensiven Diskussionen ist es uns nicht gelungen, auf einen Nenner zu kommen. Die Unterstützer*innen Daniels haben sich dazu entschlossen dem Hausverbot nicht im Wege zu stehen.

Ende Januar 2019 wurde Daniel aus allen Strukturen der SKF ausgeschlossen und bekam ein absolutes Hausverbot.

Diese Entscheidung wurde getroffen, da es dem Plenum wichtig ist, den Raum für Personen zugänglich zu halten, die Betroffene rechter Gewalt sind.

Darüber hinaus halten wir fest, dass wir uns so entschieden haben, weil der Aussteiger Daniel an seiner alten Wirkungsstätte aktiv wurde. Diese Entscheidung steht aus unserer Sicht nicht im Widerspruch zu einer möglichen Resozialisierung von Aussteiger*innen in linke (linksradikale) Strukturen. In solchen Fällen steht dem Ideal der Resozialisierung allerdings die Perspektive der Betroffenen fundamental gegenüber, weshalb wir Aktivitäten an alter Wirkungsstätte als hoch sensibles und problematisches Thema betrachten.

Unsere Stellungnahme zu den Geschehnissen rund um die SKF war überfällig und an dieser Stelle wollen wir uns auch bei den Betroffenen entschuldigen, die so lange auf unsere Entscheidung warten mussten.

Trotzdem erhoffen wir uns, dass die Stellungnahme auch ein Beitrag zur Diskussion rund um das Thema Ausstieg von Neonazis und der damit einhergehenden Arbeit mit Betroffenen sein kann. Wir freuen uns auf konstruktives Feedback und stehen gerne für Fragen zur Verfügung.

Solidarische Grüße,

das SKF-Plenum im Mai 2019

 

*Name geändert.

 


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